So funktioniert der geheimste Geldtransfer der Welt

Veröffentlicht am 15.12.2015 | Lesedauer: 7 Minuten

Video: https://www.bachmannpeter.de/hawala.mp4

Hawala gilt als geheimstes Geldtransfer-System der Welt – wird deshalb aber auch missbräuchlich eingesetzt, etwa zur finanziellen Unterstützung des IS. Wie das System von Hawala funktioniert, sehen Sie in diesem Video.

Mit einem uralten System verschieben muslimische Mittelsmänner Milliarden um die Welt. Ihr Geschäftsmodell: Vertrauen und Verschwiegenheit. IS und al-Qaida lieben es – weil Kontrolle kaum möglich ist.

Ein wenig erinnert Mohammed an den britischen Schauspieler Jason Statham in seiner Paraderolle als der „Transporter“. Statham spielt in dem gleichnamigen Film den Ex-Soldaten Frank Martin, einen Postboten der besonderen Art: Er liefert Pakete von A nach B; diskret, schnell und zuverlässig. Ein Mann klarer Regeln. Und sein oberstes Gebot lautet: Stelle keine Fragen. Was er ausliefert, weiß er nicht.

Mohammed ist auch so ein Transporter. Nur dass er weiß, mit welcher Ware er es zu tun hat: Bargeld. Vor allem US-Dollar, saudische Riyal, syrische Pfund und jordanische Dinar. Mohammed verschickt Geld, er kennt den Betrag und den Empfänger. Mehr will er nicht wissen. Zu viele Informationen, das weiß Mohammed wie Frank Martin, können gefährlich sein.

In Ammans Downtown findet Mohammeds Hawala-Handel statt
In Ammans Downtown findet Mohammeds Hawala-Handel stattQuelle: picture alliance / Ton Koene

Mohammed ist Teil eines informellen Geldtransfersystems, das „Hawala“ (Deutsch: Wechsel) heißt. Die Idee für dieses System wird schon in den heiligen Schriften des Islams beschrieben. Heute, vermuten Experten, werden so täglich Milliarden durch die Welt geschickt. Ohne Möglichkeit der Überwachung, vorbei an Banken, Zollämtern und Steuerbehörden. Ein verschwiegenes System, das auch Drogenhändler und Terrornetzwerke nutzen. Und das nur dank einer Voraussetzung funktioniert: Vertrauen.

Mohammeds Büro ist ein Café im Zentrum von Jordaniens Hauptstadt Amman. Irgendwo zwischen der großen Moschee, dem Basar und dem römischen Amphitheater. Genauer soll es niemand wissen. Mohammed heißt auch nicht Mohammed, er will so genannt werden, „weil jeder Zweite hier so heißt“. Er spürt, dass sie hinter ihm her sind: die jordanische Polizei, vielleicht sogar der Geheimdienst. Vor nicht allzu langer Zeit gab es viele solcher Mohammeds in Amman, doch die meisten wurden geschnappt, andere haben aus Angst aufgehört.

Was Mohammed tut, kann man sich wie ein Ein-Mann-Western-Union-Büro vorstellen. Kunden können bei ihm entweder Geld verschicken oder eben abholen, wenn sie der richtige Empfänger sind. Quittungen, Garantien oder Belege? Gibt es nicht.

Vom Archäologen zum Geldhändler

Mohammed sitzt im hinteren Teil des Cafés, vor ihm stehen eine Tasse Kaffee und ein Aschenbecher. Er ist Syrer, Anfang 30 und vor zwei Jahren als Flüchtling nach Amman gekommen. Der Familienvater hat jugendliche Gesichtszüge und ein schelmisches Grinsen, das immer dann aufblitzt, wenn er von den Tricks erzählt, mit denen er sein Geschäft so geheim wie möglich hält.

Er zündet sich eine Zigarette an. „Keiner der Leute hier weiß, was ich eigentlich mache“, erzählt er, und schon blitzt das Grinsen auf. „Ich habe ihnen gesagt, dass ich es finanziell nicht nötig habe zu arbeiten.“ So sitzt er jeden Tag von mittags bis abends da, empfängt Freunde, und wenn keiner da ist, plaudert er mit den Touristen, die sich eine Pause vom Sightseeing gönnen. Hier im Café läuft das Geschäft nur auf seinem Handy ab. Die Geldübergaben selbst finden immer auf der Straße statt.

Seinen Einstieg ins Hawala-Geschäft verdankt er zwei französischen Freunden und 3000 Dollar. Damit fing es an. Mohammed hatte in Syrien mit Archäologen gearbeitet. In Palmyra zum Beispiel, wo heute die Terrormiliz Islamischer Staat das römische Weltkulturerbe zu Staub macht. Kurz nachdem er nach Amman gekommen war, traf er ein befreundetes Forscherpärchen. „Sie haben mir das Geld in die Hand gedrückt und meinten, ich solle es doch bitte den Freunden in Syrien bringen. Aber wie sollte das gehen? Ich konnte ja nicht einfach über die Grenze fahren.“

Mohammed überlegte fieberhaft, eine Woche verging. Dann erzählte ihm jemand von einem Mann in Syrien, der ihm helfen könnte. Dieser Mann, hier soll er Omar heißen, führte Mohammed am Telefon in die Grundregeln des Hawala-Systems ein. Seither arbeiten sie zusammen.

Der Clou bei Hawala ist, dass das Geld nicht tatsächlich fließt. Mohammed holt sein Handy hervor, und öffnet den WhatsApp-Verlauf mit Omar. Die Nachrichten, die sich die beiden schicken, bestehen aus Namen, Orten und Geldbeträgen. „Wenn mir jemand Geld für eine Person in Syrien gibt, teile ich Omar den Betrag und den Empfänger mit. Er zahlt es aus. Anders herum läuft es genauso“, erklärt Mohammed. Jeden Freitag rechnen sie ab: Wenn der eine mehr ausgezahlt hat als der andere, startet er mit diesem Guthaben in die nächste Woche. Momentan steht Mohammed mit rund 29.000 Dollar bei Omar in der Schuld. Das liegt daran, dass vor allem Geld nach Syrien fließt.

Geldbündel in der Hosentasche, 300.000 US-Dollar im Schrank

Mohammeds Kunden sind in der Regel ebenfalls Flüchtlinge, die die Verwandten in der Heimat unterstützen. Sie schicken kleinere Beträge in jordanischen Dinar, meist ein paar Hundert Euro wert. Außerdem sammelt ein Cousin bei Syrern in Saudi-Arabien Geld für die Menschen in ihrer Heimat. Wenn Mohammed seinerseits im Auftrag von Omar Geld übergibt, sind die Beträge oft höher, denn dann geht es meistens um Geschäfte. Auf dem Weg zum Café hat Mohammed am Morgen 30.000 Dollar bei einem Mann abgeliefert, der alle paar Wochen viel Geld empfängt. Teppichhandel, vermutet Mohammed, genau weiß er es nicht. „Du erinnerst dich doch, keine Fragen!“

„Willst du das Geld sehen?“, fragt er stattdessen, und greift in die hintere Tasche seiner Jeans. Zwei dicke Bündel Geldscheine kommen zum Vorschein: Eines mit saudischen Riyal, das der Cousin gesammelt hat, das andere mit US-Dollar. Zweimal noch muss Mohammed heute Geld abliefern, einmal 3000 und einmal 5000 Dollar. Und zwischendurch werden ihn Leute kontaktieren, um Geld nach Syrien zu schicken. Mal sind es zwei, mal 20 am Tag.

DER TEUFEL MELDET SICH IMMER WIEDER IN MEINEM KOPF, ABER ER GEWINNT NICHTMOHAMMED

Es kommt vor, erzählt Mohammed, da lägen 300.000 Dollar bei ihm zu Hause im Schrank. Er lacht, weil er weiß, welche Frage jetzt kommt. „Ja, ich müsste nur mein Handy wegwerfen, und kein Mensch würde mich und das Geld finden.“ Mohammed greift sich das Telefon und wischt mit dem Daumen über das Display. „Der Teufel meldet sich immer wieder in meinem Kopf“, sagt er, „aber er gewinnt nicht.“

Zwei jordanische Dinar (2,60 Euro) behält Mohammed pro Transfer ein – egal ob es um 30 oder 30.000 Dollar geht. Das ist das Erfolgsgeheimnis des Hawala-Systems: Es ist einfacher als Banküberweisungen, wofür man ein Konto braucht, und vor allem ist es viel günstiger als Bargeldtransferanbieter wie Western Union, die oft hohe Gebühren verlangen und schlechte Wechselkurse anbieten.

Mit rund 200 Transfers verdient Mohammed im Monat etwa 400 Dinar (530 Euro). Gerade genug für die Miete und um die Kinder zur Schule zu schicken. Ansonsten ist er wie fast alle Flüchtlinge auf finanzielle Hilfe von Verwandten angewiesen. Ein Mann, der 300.000 Dollar im Schrank liegen hat.

Doch Mohammed ist Idealist. „Ich will meinem Volk helfen“, sagt er, „Hawala ist günstig, einfach und das Geld kommt nach Hause.“ 16 Partner umfasst sein Netzwerk mittlerweile, er könne jeden Winkel Syriens erreichen, sagt er. Und dazu jede Menge andere Länder, auch Deutschland.

Kein Geldtransfer für Männer mit langen Bärten

Das klandestine Wesen des Hawala-Systems, die Anonymität und Diskretion, zieht allerdings alle möglichen Interessenten an – nicht nur Teppichhändler und Menschen, die ihre Verwandten unterstützen wollen. Der mutmaßlich größte Hawala-Banker der Welt, ein indischer Geschäftsmann, soll zwei Milliarden Dollar am Tag bewegt haben. Zu seinen Kunden gehörten lateinamerikanische Drogenkartelle genauso wie al-Qaida. 2009 flog er auf. In Norditalien hatte die Polizei drei Jahre zuvor einen pakistanischen Friseur verhaftet, der Geld zwischen der Mafia und afghanischen Drogenhändlern verschickt hatte – bis zu vier Millionen Euro am Tag. Große Terroranschläge, wie der Angriff auf ein Hotel in Mumbai 2008 mit 164 Toten, sollen durch Hawala finanziert worden sein.

Ein Kleintransporter ist Ort einer Geldübergabe: Über das Hawala-System verschicken zum Beispiel syrische Flüchtlinge günstig Geld in ihre Heimat
Ein Kleintransporter ist Ort einer Geldübergabe: Über das Hawala-System verschicken zum Beispiel syrische Flüchtlinge günstig Geld in ihre HeimatQuelle: Paul Nehf

Auch zu Mohammed kommen Leute, die Geld etwa an Kämpfer der Al-Nusra-Front schicken wollen, den syrischen Al-Qaida-Ableger. Mohammed glaubt sie zu erkennen, an ihren Bärten, der Art wie sie reden, an den Regionen, in die das Geld fließen soll. Dann bricht Mohammed sogar seine Regel, keine Fragen zu stellen. Aus drei Gründen, glaubt Mohammed, ist er noch nicht erwischt worden: Weil er vorsichtig ist, weil er nicht mit Dschihadisten zusammenarbeitet und weil Gott seine Arbeit honoriert und deshalb seine schützende Hand über ihn hält.

Es ist Abend geworden. Der Mann, der die 3000 Dollar empfangen soll, kommt doch erst morgen in die Stadt. Der andere schreibt eine SMS, er will sich gleich treffen. Mohammed macht sich auf den Weg quer durch die Innenstadt, vorbei an den Souvenirläden, den Cafés, den Straßenhändlern. An einer Kreuzung hält ein weißer Kleinlaster an, Mohammed steigt ein, zwei Minuten später haben die 5000 Dollar den Besitzer gewechselt. Arbeitstag beendet.

QUELLE: https://www.welt.de/politik/ausland/article149961276/So-funktioniert-der-geheimste-Geldtransfer-der-Welt.html

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